Unterwegs als Hospiz-Helferin

Aus dem Alltag einer Hospiz-Helferin!

Im Monat Februar füllt die Versmolderin Daniela Schmitten gleich mit zwei Beiträgen meinen Themenreigen rund um Demenz. Sie gehört zu den wunderbaren Menschen, die sich mit Herzblut  Menschen im Hospiz und Demenzerkrankten widmet.

Daniela Schmitten arbeitet hauptberuflich im Gesundheitswesen. 2014 absolvierte sie den Hospizhelfer-Lehrgang im Versmolder Hospizverein. Seitdem ist sie aktiv und ehrenamtlich mit vielen Kollegen und Kolleginnen in der ambulanten Hospizbegleitung in Versmold unterwegs.

Im ersten Beitrag erzählt Daniela Schmitten aus ihrem Alltag als Hospiz-Helferin.

Anmerkung: Natürlich sind alle Namen der erwähnten Personen geändert.

Einen todkranken Menschen bis zur letzten Stunde begleiten.
Erstes Kennenlernen:

Daniela Schmitten Foto: mit freundlicher Genehmigung von Daniela Schmitten

Daniela Schmitten
Foto: mit freundlicher Genehmigung von Daniela Schmitten

Ich begleite mehrere Menschen zur gleichen Zeit. Da wir im Team zu zweit arbeiten, können wir die uns zur Verfügung stehende Zeit gut einteilen.

In wenigen Minuten muss ich gehen. Ich treffe mich mit unserer Hospiz-Koordinatorin. Sie wird mich über einen neuen Menschen informieren, den ich begleiten soll. Wird es eine Frau sein oder ein Mann? Was erwartet mich? Über was werden wir reden?

11:00 Uhr. Ich bin jetzt in der Cafeteria des Städtischen Altenheims. Die Koordinatorin ist noch nicht da. Ich suche nach einem passenden Tisch, an dem wir ungestört sein werden. Da ist sie schon. Herzlich begrüßen wir uns. Sie gibt mir einen Schnellhefter mit Informationen. Wir sprechen über den Menschen. Es ist ein Mann.

Die Liste der Krankheiten ist lang. Herr Sassenberg ist austherapiert und kann nicht mehr alleine zuhause wohnen. Er wird hier versorgt, bis er stirbt. Keiner weiß, wie lange es dauern wird.

Die Hospizgruppe wurde vom Pflegepersonal informiert, damit die wenigen Angehörigen zeitlich entlastet werden. Es ist mir nicht leicht ums Herz. Werde ich die richtigen Worte finden? Zum Glück ist die Koordinatorin dabei und wird mich vorstellen. Wir gehen in den Wohnbereich, zu seinem Zimmer, klopfen an und gehen hinein, „Hallo, Herr Sassenberg“, begrüßt ihn die Koordinatorin und stellt mich vor. Ich begrüße ihn. Herr Sassenberg sitzt in seinem Bett, der Fernseher läuft. Er macht ihn aus, damit wir uns besser unterhalten können. Er ist heute gut drauf und macht einen sehr netten Eindruck. Ich kann mir gut vorstellen, ihn zukünftig zu begleiten. Ob er mich auch mag? Ich frage ihn, ob ich wiederkommen darf. „Ja, gerne“, sagt er und ich bin froh. Wir verabschieden uns. Den einstündigen Besuch dokumentieren wir in unserer Hospizmappe, die im Zimmer verbleibt. Datum, Uhrzeit von bis und was gemacht wurde, heute: Besuch und Vorstellung, wird hier eingetragen.

Die Begleitung teile ich mir mit einer Kollegin. Sie geht in der Woche, ich Samstags, da habe ich die meiste Zeit. Ich bin froh, dass das Gespräch so gut geklappt hat und dass wir beide uns mögen. Das ist wichtig.

Eine Woche später.

Ich bin auf dem Weg zu Herrn Sassenberg. Wie wird es wohl heute sein? Ob er Schmerzen hat? Spüre ich, was er braucht? Spüre ich, was ich tun soll, wenn er etwas von mir will? Ich bin gespannt. Ich klopfe an und gehe hinein. Wieder läuft der Fernseher. Ich begrüße Herrn Sassenberg. Er fragt, wer ich bin. Ich stelle mich nochmal vor. Er sagt, dass ich gerne mit schauen kann, denn er wird den Fernseher nicht ausmachen, da die Deutsche Touren-Meisterschaft vom Hockenheim-Ring gerade übertragen werden. Zum Glück sind es nur noch wenige Minuten. Ich schaue auf den Bildschirm und stelle zwischendurch Fragen. Herr Sassenberg antwortet und sagt, heute ist sein Schlaftag, zwischendurch fallen ihm die Augen zu. Es ist trübe draußen, typisch Herbst. Endlich ist der Fernseher ausgeschaltet. Ich habe doch extra ein Buch über Versmold mitgebracht und lese etwas daraus vor. Da kommt eine gute Unterhaltung zustande. Im Nu sind wir vertieft. Die Zeit vergeht schnell. Wir haben richtig Spaß! Zum Schluss fallen mir sogar noch zwei richtig gute Witze ein. Herr Sassenberg lacht lauthals. Bevor ich mich verabschiede, trage ich noch die verbrachte Zeit in die Hospizmappe ein. Herr Sassenberg möchte wissen, was ich schreibe. Ich sage: „sehr nette Unterhaltung“. Er freut sich und fragt, wann ich wiederkomme. Ich merke, dass ihm der Besuch heute sehr gut getan hat.

Ich weiß nicht, wie lange ich Herrn Sassenberg begleiten darf. Doch wenn seine letzten Stunden beginnen, möchte ich da sein. Seine Hand halten und ihn mit Gebet und Gesang hinüber begleiten in die andere Welt. Das bedeutet sehr großes Vertrauen des Sterbenden zu mir. Bisher durfte ich das einmal erleben. Dies war ein sehr heiliger Moment für mich.

„Ich will nach Hause!“

Nach meinem Besuch gehe ich durch den Wohnbereich. Ich sehe Frau Vresen. Sie hat einen Mantel an und geht Richtung Ausgangstür. Zufällig weiß ich, dass sie dement ist und zurück nach Hause möchte. Dort, wo sie früher einmal gewohnt hat. Längst ist das Haus verkauft. Es leben fremde Menschen darin. Eine Pflegekraft geht ihr nach und sagt, „Hallo Frau Vresen, wo möchten Sie denn hin? Ihre Tochter kommt doch gleich.“ Frau Vresen hält inne und lässt sich zurück führen.

Sie nimmt in einem der Sessel im Eingangsbereich Platz, um zu warten. Nach einigen Minuten hat sie alles wieder vergessen und geht in ihr Zimmer zurück. So macht sie es einige Male am Tag.

Tipp: Das Weglaufen von Menschen, die an Demenz erkrankt sind, gehört zu den Anfangsphasen der Krankheit. Sie sind vergesslich, leicht verwirrt, haben ab und zu einen Filmriss, wissen nicht mehr, wo sie gerade sind und was sie dort wollen.

Verschiedene Einrichtungen haben bereits Bänke im Haus aufgestellt, um eine Bushaltestelle zu simulieren. So werden demente Menschen dazu animiert, Platz zu nehmen und zu warten. (Ein ähnliches Modell haben die niederländischen Kollegen mit einem Bus umgesetzt, siehe dazu den Beitrag: Digitale Bus-Reise für Menschen mit Demenz)

In einer anderen Welt leben!

Ich besuche Frau Schneider. Sie leidet ebenfalls an Demenz. Heute ist Frau Schneider in ihrem Zimmer und liegt im Bett. Ich öffne vorsichtig die Tür und gehe leise ins Zimmer, um sie nicht zu erschrecken. Sie fragt wieder, wer ich bin und was ich möchte. Ich nenne meinen Namen und sage ihr, dass ich von der Hospizgruppe Versmold komme.

Mit dem Herzen durch die Hände berühren Foto: Margarete Rosen

Mit dem Herzen durch die Hände berühren
Foto: Margarete Rosen

Mein Besuch soll ihr Freude bereiten.

Ob ich mich zu ihr setzen dürfe? Sie nickt. Wartet gespannt. Sie hört gerne zu, wenn ich ihr etwas vorlese. Besonders die Geschichten aus einem Katzenbuch haben es ihr angetan. Mitten im Vorlesen sagt sie: “Es ist so heiß, bitte ziehen Sie mir die Jacke aus“. Frau Schneider hat aber keine Jacke an, liegt mit einer Bluse im Bett. Ich schaue mich im Zimmer um. Eine Wolljacke hängt über dem Stuhl. Ich schaue ihr ins Gesicht. Sie scheint mit ihren Gedanken ganz weit weg zu sein. Sie sagt wieder, „bitte ziehen Sie mir doch die Jacke aus“. Ich streiche ihr mehrmals über den Arm. Sage wiederholt, dass ich ihr die Jacke ausziehen werde. Die Berührungen scheinen ihr gut zu tun. Nach einigen Minuten ist sie wieder in der Gegenwart, bittet mich, weiter vorzulesen.

Tipp: Im Zimmer dieser Bewohnerin hängt ein Schmetterling über dem Bett. Er ist oben an der Decke befestigt. Demenzkranke Menschen liegen oft lange Stunden bewegungslos im Bett. Die Augen sind offen und nach oben zur Decke gerichtet. Sie sind in sich gekehrt. Um sie herum sind Geräusche, die nicht zugeordnet werden können. Es entstehen Ängste. Ein Schmetterling, ein Mobile oder Fotos mit biographischem Bezug sind etwas vertrautes und wirken beruhigend.

Zeitreise in die Vergangenheit

Meine Kollegin erzählt:

Ich begleite Frau Jahnke, die über 90 Jahre alt ist. Sie lebt in ihrer eigenen Welt. Wenn ich sie besuche, fragt sie mich, ob wir uns schon länger kennen? – „Ja, wir haben uns schon ein paarmal getroffen“, sage ich.

Mein City-Rucksack ist ein guter Gesprächsaufhänger, denn Frau Jahnke beschreibt mir dann immer, wie eine gute Damenhandtasche auszusehen hat. Diese hat einen Clipverschluss. In der Handtasche sollten sich folgende Dinge befinden: ein Taschentuch mit Spitze umhäkelt, sauber, gestärkt und gebügelt, Kölnisch Wasser, ein kleiner Kamm, um die Haare zu richten, wenn sie ihren Hut abnimmt, ein bisschen Kleingeld und Telefongroschen für Notfälle. Auch ein kleiner blasser Lippenstift dürfe nicht fehlen, am besten in Perlmutt. Eine Dame von Welt ist sehr auf ihr Äußeres bedacht, erklärt Frau Jahnke mir.

Mode um 1950, Zeitschrift aus dem Museum van de Vrouw in Echt, NL

Mode um 1950, Zeitschrift aus dem Museum van de Vrouw in Echt, NL

Die stets angemessene Kleidung richtet sich immer nach dem Anlass, der bevorsteht. Meist ist es eine Einladung zum Kaffee. Das Highlight der Woche! Der Tisch wird ganz besonders eingedeckt. Es gibt gefilterten Kaffee. An der Kaffeekanne wird ein Tropfenfänger befestigt. Sie wissen schon, so einen mit einem Schmetterling daran. Über die Kaffeekanne wird eine Kaffeehaube gestülpt. So bleibt der Kaffee heiß. Es gibt immer selbst gebackenen Obstkuchen je nach Jahreszeit. Dazu wird frisch geschlagene Sahne serviert. Wenn die Gäste an der Haustür klingeln, wird noch schnell die Küchenschürze abgenommen. Denn der gute Ruf muss gewahrt bleiben. Ihr Mann hat ja eine gewisse Stellung. Nach dem Kaffeetrinken wird ein kleines Likörchen gereicht. Das gehört zum guten Ton. Das Kaffeekränzchen ist zeitlich begrenzt. Die Ehemänner kommen bald von der Arbeit nach Hause. Die Damen verabreden sich für die nächste Woche. Jede ist einmal Gastgeberin, damit die Kosten klein bleiben.

Tipp: Die an Demenz erkrankte Dame erzählt diese Erinnerung bei jedem Besuch. Es fühlt sich für die Hospizhelferin wie eine Zeitreise in die Vergangenheit an. Die gelebten Erinnerungen, die hier geweckt werden, erzeugen Freude. Das schafft ein Stück Selbstvertrauen und verbessert letztendlich die Lebensqualität. Dies ist eine Methode aus der Biografiearbeit.

Vielen Dank Frau Schmitten für diesen ausführlichen Erlebnisbericht. Ich freue mich schon auf unser Interview, dass in zwei Wochen veröffentlicht wird.

Weitere Informationen

Sie möchten mehr über die Aufgaben der HospizhelferInnen erfahren, dann kontaktieren Sie den Hospizverein in Ihrer Nähe. Hier sind die Webseiten der Hospizvereine in Versmold und in Aachen.

Die oben geschilderten Verhaltensweisen erleben viele Demenz- und Hospiz-BegleiterInnen so und in ähnlicher Weise jeden Tag, genau wie meine Kurs-TeilnehmerInnen. Besonders freue mich immer zu hören, mit welchem Erfolg sie Therapeutic Touch zur Beruhigung der verwirrten Demenzerkrankten einsetzten.

Sie sind bereits HospizhelferIn und möchten erfahren wie Therapeutic Touch auf vielfältige Weise in der Hospizarbeit und Palliative Care eingesetzt wird? Wie Pflegende und ehrenamtliche Mitarbeiter diese komplementäre Pflegemethode gezielt einsetzen, um den todkranken Patienten ruhige Momente und Entspannung zu geben, so dass diese gelöster ihre verbleibende Zeit verbringen?

Nehmen Sie an einem der Schnupper-Workshops „Therapeutic Touch in der Hospizarbeit und Palliative Care“ teil. Sie wenden Therapeutic Touch bereits an, dann ist der Beyond the Basics-Kurs „TT und Sterbebegleitung“ etwas für Sie. Aktuelle Termine finden Sie hier.

Konnte ich Sie auf die Arbeit der Hospizhelfer neugierig machen? Dann freue ich mich über Ihren Kommentar.

Ihre
Margarete Rosen

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Dann teilen Sie ihn mit anderen, in dem Sie auf die Button unter dem Text klicken.

Sie möchten keinen Beitrag verpassen? So gehts: Email-Adresse rechts ins Feld “Aktuelles per email” eintragen, auf “abonnieren” klicken und … fertig.

5 Kommentare

  1. Pingback:Hospiz-Helfer, Begleiter auf der letzten Wegstrecke «

  2. Daniela Schmitten

    Liebe Frau Rosen,
    der Blogbeitrag ist wirklich sehr schön geworden. Es ist nicht einfach gewesen, die durchlebten Situationen für alle sichtbar zu machen. Mein Anliegen ist es, meine Mitmenschen auf die Hospizarbeit aufmerksam zu machen und Angst zu nehmen; auch vor Demenz und dem Tod.

  3. Ein interessanter Beitrag, der neugierig auf die Arbeit der Hpsizbegleiter macht. Ich werde mich mal vor Ort informieren welche Möglichkeiten der Mitarbeit geboten werden. Bestimmt nehme ich auch an einem der nächsten Worshops teil.

Kommentare sind geschlossen