Wie Kinder trauern! Interview mit Ina Raki

Von der Idee zum fertigen Buch. Ina Raki erzählt von ihrer Arbeit.

Ina Raki, Lektorin und Schreibcoach, hat mir im Interview von ihrer Arbeit am Buch „Wie Kinder trauern“ erzählt.

Ina Raki ist engagierte Lektorin, Schreibberaterin und Autorin. Mit viel Enthusiasmus und Fachkompetenz begleitet sie AutorInnen durch den Dschungel der Schreibrealität.

Im Buch „Wie Kinder trauern“ von Tita Kern, Nicole Rinder und Florian Rauch wird ihre Mitarbeit sogar erwähnt. Normalerweise liegt es bei einem solch sensiblen Thema, wie es Kinder-Trauer ist, nahe, mit den Autoren selbst zu sprechen. Doch Ina und ihre Arbeitsweise interessierten mich so sehr, dass ich sie um ein Interview gebeten habe.

Interview mit Ina Raki

Du hast am Buch „Wie Kinder trauern“ mitgearbeitet. Was ist Deine persönliche Definition des Begriffs Trauer?

Ina Raki

Trauer kann sehr unterschiedlich besetzt sein. Spontan würde ich sagen: Trauer ist der Schmerz, der entsteht, wenn man einen Verlust erlitten hat. Das Gefühl also, das spürbar wird, wenn ich einen Menschen durch Tod oder Abschied verliere. Ich glaube, man kann aber auch das Gefühl als Trauer bezeichnen, das auftritt, wenn eine Lebensphase vorbeigeht, die man noch nicht loslassen kann oder will. Trauer tritt wohl auch auf, wenn einem Menschen wichtige Perspektiven oder Lebensmöglichkeiten verwehrt bleiben, man also zum Beispiel keine glückliche Paarbeziehung erleben oder keine Kinder bekommen kann. Ich kann auch Trauer darüber empfinden, dass es Ungerechtigkeit gibt. Für mich ist Trauer also durchaus ein Gefühl mit vielen Facetten.

Erinnert Dich das Buch an ein persönliches Erlebnis und hättest Du das Buch in der damaligen Situation gern zur Verfügung gehabt?
Meine Mutter starb, als ich 21 Jahre alt war. Die Beziehung zu ihr war vorher viele Jahre lang sehr kompliziert gewesen. Als sie starb, hatte es schon lange kein Miteinander mehr gegeben und dadurch gab es auch keinen richtigen Abschied. Die Trauer über den fehlenden Abschied, das Nichtgesagte, die verlorene Chance, die Beziehung zu meiner Mutter in gewisser Weise wiederzufinden, bevor sie starb, ist jahrelang in mir geblieben. Im Grunde ist sie noch heute da.
Und, ja: Meiner Schwester und mir hätte damals eine Begleitung in Form erfahrener TrauerberaterInnen, verständnisvoller nahestehender Menschen oder auch eines Buches sicher geholfen.

Fiel es Dir leicht, die Mitarbeit an dem Buch anzunehmen?
Ja. Ich habe mir dennoch anfangs Gedanken gemacht, ob ich wohl dem Anspruch der AutorInnen und dem Auftrag gerecht werde. Ich finde die Themen Abschied, Tod und Trauer sehr berührend und wichtig. Viele Menschen haben Angst davor und versuchen, Tod und Abschied und den damit verbundenen Gefühlen auszuweichen. Das ist jedoch unmöglich, denn sie gehören zu jedem Leben zwingend dazu. Aus diesem Ausweichen entstehen dann oft jahrelange belastende Zustände, die das Leben stark beeinträchtigen können. Der Grund dafür ist, dass wir Angst vor Tod und Trauer haben. Aber diese Angst führt nicht zu einer Lösung, die Trauer kann sich dadurch nicht wandeln. Sie bleibt bedrohlich und überwältigend. Gefühle können sich nur verändern, wenn wir daran und damit arbeiten, dafür müssen wir sie erst einmal zulassen dürfen.
Vor allem Kinder sind hier stark von ihrem Umfeld abhängig: Wenn die Erwachsenen ihnen signalisieren, dass sie Gefühle unterdrücken müssen, dass diese Gefühle nicht richtig sind, dann geraten Kinder und Jugendliche in eine sehr schwierige Situation. Gerade das wollen die erwachsenen Bezugspersonen aber ja gar nicht, sondern sie möchten den Kindern in dieser Situation helfen. Darin werden sie mit einem Buch wie diesem unterstützt. Es hilft ihnen sicher auch, mit ihren eigenen Gefühlen in der Situation achtsam umzugehen. Schließlich sind die Erwachsenen, die Kindern nach dem Tod einer nahesstehenden Person beistehen, ganz oft selbst aufs Schmerzlichste von dem Verlust betroffen, haben PartnerIn, ein Kind, Schwester, Bruder oder Elternteil verloren.
Ich wollte von Anfang an sehr gern an einem Buchprojekt beteiligt sein, das so vielen Menschen helfen kann.

Worin bestand Deine Mitarbeit konkret?
Ich habe mich zuallererst mit den AutorInnen abgestimmt, welche Botschaft im Buch spürbar werden soll und welchen individuellen Umgang mit Trauer, Tod und Abschied sie haben. Dann habe ich mich mit der Struktur des Buches beschäftigt, die vorherigen Werke des Autorenteams und deren Idee zur Kapitelfolge im Buch angeschaut und gemeinsam mit ihnen überlegt, wie wir das Buch aufbauen.
Dann ging es darum, Fallbeispiele zu verfremden, sodass die dahinterstehenden Menschen geschützt bleiben und dennoch der Tenor des Erlebten, das Gefühl der Trauernden bei der Leserschaft ankommt.
Ein weiterer Teil der Arbeit war es, die Beiträge der drei AutorInnen so zu überarbeiten, dass ein stimmiges Gesamtwerk entsteht. Alle drei haben ihren eigenen Schreibstil und daraus sollte ein Buch werden, das „aus einem Guss“ ist.

Was war Dein besonderes Erlebnis in diesem Projekt?
Das Projekt hat mich insgesamt sehr berührt. Bei der Auswahl und dem textlichen Überarbeiten der Fallgeschichten musste ich oft weinen. Wichtig war uns, dass im Buch Worte gefunden werden, die die LeserInnen erreichen, die sie öffnen dafür, was in einem Kind in der Situation des Verlustes vor sich geht.

Wie Kinder trauern

In der Zusammenarbeit mit den AutorInnen hat mich vor allem deren Umgang mit Tod und Trauer berührt: Es geht ihnen nicht darum, Todesfall und Trauer „abzuwickeln“, darüber „möglichst rasch hinwegzukommen“ und dergleichen, was wir in unserer Kultur oft anstreben. Sondern darum, den verstorbenen Menschen emotional loszulassen, seinen Tod zu begreifen und zum Verstorbenen eine neue Beziehung aufzubauen. Also kein „jemand ist tot, alles ist vorbei“, sondern ein „ein geliebter Mensch ist gestorben und die Beziehung zu ihm darf über den Tod hinaus weiter da sein, wird aber völlig neu definiert“. Ich glaube, wenn man diese Haltung verinnerlichen kann, hilft das ungemein, Trauer zuzulassen, den Tod der geliebten Person zu akzeptieren. Auch wenn dieser Mensch nicht mehr da ist, darf er im Leben der Überlebenden bleiben.

Was umfasst Deine Arbeit an einem Buch normalerweise?
Das kann von einem Projekt zum nächsten immer wieder anders sein, da ich in verschiedenen Tätigkeitsbereichen rund ums Buchmachen arbeite. Ich schreibe sehr gern selbst – als Autorin oder Ghostwriterin. Und ich arbeite gern als Lektorin am Text. Auch die Koordination im Projekt macht mir Spaß: Wenn ich Termine und Abläufe definiere und überwache, AutorInnen motiviere und im Schreibprozess unterstütze.
Ich begleite häufig Buchprojekte über längere Zeit oder helfe Schreibenden, eine förderliche Routine und Praxis im Schreiben aufzubauen.

Du bist freiberuflich tätig. Wie finden Dich solche Bücher? Durch die Autoren – oder sind es eher die Verlage?
Für einige Buchprojekte kamen die Verlage auf mich zu, für andere die AutorInnen direkt. Mehrere Aufträge habe ich durch perönliche Empfehlung bekommen: Eine Autorin, mit der ich bereits gearbeitet habe, empfiehlt mich beispielsweise an eine andere Autorin aus ihrem Freundeskreis, weil sie weiß, dass diese in einem Schreibprojekt steckengeblieben ist. Andere Aufträge ergaben sich als Folgeaufträge bei ein und demselben Auftraggeber, weil er durch die gute Zusammenarbeit motiviert in einem weiteren Projekt wieder mit mir arbeiten wollte. Das sind natürlich besonders schöne berufliche Erfahrungen.

Magst Du ein bestimmtes Genre besonders gern, oder hast Du sogar „nur“ bestimmte Genres in Deinem Repertoire? Wenn ja, welche?
Ich bin relativ offen. Besonders interessieren mich Projekte, die dabei helfen, gesellschaftlich etwas zu bewegen. Hierzu gehören alle Bücher, in denen es um menschliches Miteinander geht. Um Beziehungen. Darum, sich miteinander zu verständigen. Gegenseitige Akzeptanz.
Ein Thema, das mich sehr beschäftigt, ist zum Beispiel Bildungsgerechtigkeit. Hier möchte ich zum Schwerpunkt Lesen- und Schreibenlernen einen Beitrag leisten. Ich bin überzeugt, dass nur der möglichst breite Zugang zur Bildung Kindern die Chance gibt, im weiteren Leben gesellschaftlich teilzuhaben. Aus diesem Grund bin ich immer wieder mit Projekten in Schulen oder Büchereien, Schreibkursen für Kindern und ähnlichem beschäftigt. Auch meine Tätigkeit als Jugendbuchautorin hat hiermit zu tun. Und nicht zuletzt die Schreibberatung und Schreibbegleitung. Schreiben ist ein sehr spannendes Tätigkeitsfeld, das ich gern immer mehr Menschen eröffnen möchte. Aus diesem Grund habe ich mich auch im Bereich der Schreibberatung und -begleitung spezialisiert.

Was genau ist denn eine Schreibberatung oder Schreibbegleitung?
Eine Schreibberatung findet statt, wenn jemand beim Schreiben an einem konkreten Text auf Schreibhemmnisse stößt und nicht weiterkommt. Oder wenn Schreibende langfristig ihr Schreibhandeln verändern möchten, weil sie bemerken, dass sie auf die immer gleichen Probleme stoßen, sich aber nicht erklären können, warum – und diese Probleme allein auch nicht überwinden können. Dann gehe ich mit der ratsuchenden Person meist einen konkreten Text durch und stelle außerdem Aufgaben, um ihr Schreibhandeln zu analysieren und so typische Herausforderungen zu erkennen. Wenn wir diese gemeinsam herausgearbeitet haben, gebe ich Tipps, wie die Probleme gelöst werden können.
Ich bin in meinen Beratungen immer wieder Schreibenden begegnet, die sich längerfristige Unterstützung wünschten. Daraus sind meine Schreibbegleitungen entstanden. Der Start in die Schreibbegleitung ähnelt dem in eine Schreibberatung. Ich stelle eine Reihe von individuellen Beratungen und Workshops zusammen, sehe die Ergebnisse der gestellten Aufgaben durch, gebe Feedback und entwickle weitere Übungen. So arbeite ich gemeinsam mit den Ratsuchenden daran, deren Fähigkeiten in den gewünschten Bereichen zu entwickeln. Besonders schön ist, dass die Schreibenden die Erfolge direkt im Schreiben spüren. Mir macht diese Arbeit sehr viel Freude.

Vielen Dank, liebe Ina, für dieses sehr informative Interview.

Über Ina Rakis Arbeit als Schreibcoach und Autorin können Sie sich auf folgenden Webseiten informieren: Schreibberatung und Autorin.

Um hochsensible Themen für eine große Leserschaft verständlich aufzubereiten, bedarf es eines achtsamen und wertschätzenden Umganges mit dem Text und großer Professionalität.

Ich wünsche uns allen noch viele solcher guten und sprachlich hochqualitativen Fachbücher und Menschen, die mit Kompetenz, Herzblut und Engagement hinter dem Produkt Buch stehen.

Ankündigung: Buchverlosung!

Bereits im Beitrag „Wie Kinder trauern!“ habe ich schon verraten, dass ich zum Welttag des Buches diesmal ein Exemplar von „Wie Kinder trauern“ verschenken werde. Sie möchten das Exemplar erhalten?

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Margarete Rosen

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7 Kommentare

  1. Pingback:23. April Welttag des Buches 2018 « Therapeutic Touch West

  2. Danke für diese klare Einschätzung des Buches. Ich bin auf der Suche nach Hilfe um meinen Kindern das Trauern zu erleichtern. Werde mir gleich das Buch besorgen.

  3. Evelyn Kuttig

    Oh ja, das war bestimmt ein Buchprojekt, das nahegeht, wie beschrieben an die Auseinandersetzung mit sich selbst. – Über das Spektrum von Trauer habe ich noch nie so nachgedacht. Diese Überlegung zeigt mir, dass, wenn aufscheinende Trauer für ein anderes „Unwohlsein“ gehalten wird, eine Verdrängung schon stattfindet, die Ursache heruntergespielt wird, anstelle sie zu verarbeiten und (als Teil von sich) anerkennend den Schmerz zu überwinden. Danke dafür!

    • Ja, Trauer hat viele Seiten. Ich bin immer wieder überrascht, wie viele.
      Und ich freue mich immer wieder über ein gutes Buch darüber, sei es ein Kinderbuch, Sachbuch oder Erfahrungsbericht.

  4. Petra Hillebrand

    Liebe Margarete!

    Vielen Dank für dieses spannende Interview. Auch ich habe dieses Buch gelesen und empfehle es gern weiter.

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